Loslassen lernen | Magst du den Schmerz, der entsteht, wenn du an Altem festhältst?



Gestern hatte ich kein Glück.

Es war meine letzte Nacht in Medellín (Kolumbien). Nach einer kleinen Abschiedsparty von Freunden machte ich mich auf den Weg nach Hause. Plötzlich erschien eine hochgewachsene Frau in einem auffallenden Kleid. Eine Prostituierte! Normalerweise würde ich so eine Annährung auf Distanz halten. Doch der Alkohol machte meine Reflexe laaaaannng-s-a-m.

Die Dame wusste genau was sie wollte, blickte mir tief in die Augen und rief mir ins Ohr:

„Vamos, vamos!“
(„los gehen wir, machen wir es!“)

Dann griff sie mir kräftig in meine Reproduktionszentrale!

Autsch! Der Griff in meine zwei Goldstücke war schmerzhaft.

Ich schob sie weg. Kurze Zeit später war ich zuhause, entkleidete mich. Ich legte mein Portemonnaie ins Regal, legte mein iPhone ins Reg …

Mein iPhone ????

( – )

Diese ***** hat mein TELEFON GEKLAUT !!!

Der harte, gekonnte Griff in die Vollen, das laute Reden ins Ohr – alles ein geschicktes Ablenkungsmanöver! Eine scheinheilig, komplett in weiß gekleidete Dame hatte im Dunkel der Nacht zielsicher mein schwarzes Telefon aus meiner ebenso schwarzen Tasche geklaut. Binnen 3 Sekunden! Da war ein Profi am Werk.

Es tat weh.

Nicht der Eiergriff.

Okay, der auch. Aber noch mehr schmerzte es, betrogen worden zu sein und mehrere Hundert Euro verloren zu haben.

Ich ärgerte mich, weil ich die tollen Bilder der letzten Nacht nie mehr wiedersehen würde.

Und nun? Ich hätte stundenlang jammern und fluchen können. Okay, das habe ich auch. Aber die Frage ist, wie lange und wie schwer das Jammern ist. Und genau wegen dieser Frage habe ich diesen Artikel hier geschrieben! Denn etwas Merk-würdiges passierte mit mir. Ich durchlief drei verschiedene Phasen …

 


Phase 1: Ankämpfen.

Zunächst leugnete ich innerlich den Verlust. Ich blickte auf meine leeren Taschen und dachte: „Das muss doch irgendwo sein! Das darf nicht sein.“ Ich zog mich sofort wieder an und rannte raus in die Nacht, um die auffallend weiße Dame zu suchen. Ich wollte, dass der alte Zustand „Martin besitzt ein Telefon“ erhalten bleibt. So hat es mein Gehirn gespeichert, so fühlt es sich wohl.

Phase 2: Resignation.

Bereits nach 20 Minuten gab ich auf. Ich wusste, die Dame hat gerade in 3 Sekunden 3 kolumbianische Monatsgehälter erbeutet und wird nun sicher nicht nonchalant in der Nähe des Tatortes gelassen umherstolzieren.

Phase 3: Akzeptanz.

Mir wurde klar, dass ich jetzt nichts mehr tun kann. Ich seufzte. Atmete tief aus. Spürte den Frust. Den Ärger über mich selbst. Doch ich akzeptierte: Mein treuster Wegbegleiter war weg. Und ich würde ihn nie mehr wiedersehen.

Treues Telefon – lebe wohl!

Ein wenig aufgewühlt, aber innerlich den neuen Umstand akzeptierend legte ich mich schlafen. Am nächsten Morgen erzählte ich die Geschichte kopfschüttelnd zwei Freunden. Ich meditierte ein wenig. Aber danach widmete ich mich der Gestaltung meines Sonntags. Den wollte ich mir nicht durch so einen ärgerlichen, schmerzlichen Vorfall verderben lassen!

 


Ich bin jetzt noch über die Geschwindigkeit erstaunt, mit der ich diese drei (typischen) Trennungsphasen durchschritten habe. Heute, keine 36 Stunden danach liegt bereits ein neues Telefon neben mir. Ich lächle und lobe mich innerlich. Ich spüre: „Martin, du hast wieder etwas gelernt!“. Nämlich, wie schon in anderen Momenten während meiner vielen Reisen, schneller loszulassen und umzuschalten.

Im Prinzip ist das „emotionales Zeitmanagement„. Ich habe zwar viel Geld verloren, aber ich habe den Vorfall nicht größer und schwerwiegender gemacht als das. Ich habe keine Zeit damit verschwendet, mich in meinem Schmerz zu suhlen. Ich habe losgelassen, akzeptiert und nach vorn geblickt. Passend zu dieser Erkenntnis mache ich einen mentalen Eintrag in mein „Life Lessons Learned“ Notizbuch:

Je schneller du dich umstellen und neuen Situationen anpassen kannst, desto glücklicher bist du.


Warum erzähle ich dir das alles?

Gegenfrage:

Magst du Schmerzen?

Wie oft beschwerst du dich bei anderen, dass die Welt lieber so oder so sein sollte – statt zu akzeptieren, wie sie gerade ist?

Das Leben ist ein ständiger Fluss aus Veränderungen. Immer in Bewegung.

„Panta rhei“ – Alles fließt.

Die sogenannte „Flusslehre“ geht auf Heraklit zurück. Für den altgriechischen Philosoph stand fest: „Du kannst nicht zweimal in den selben Fluss steigen“. Theoretisch schon, aber in dem Moment, in dem du an der selben Stelle noch einmal in den Fluss steigst, ist das Wasser, das dich umgibt, ein ganz anderes.

Lerne loszulassen denn alles fliesst - Die Flusslehre von Heraklit sagt das Leben in einem ständigen Wandel ist - steck nicht den Kopf in den Sand! - Dr Martin KrengelLerne loszulassen denn alles fliesst - Die Flusslehre von Heraklit sagt das Leben in einem ständigen Wandel ist - steck nicht den Kopf in den Sand! - Dr Martin Krengel

Alles fließt! Steck den Kopf nicht in den Sand und verschließe dich dem Wandel.

 

Auf deutsch besagt die Flusslehre:

Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.

 


Wenn du nicht akzeptierst, dass jeder Tag anders ist als der gestrige und dich dagegen sperrst, kostet das Kraft. Wenn sich dein Ich von gestern dem Wandel von heute versperrt und sich nicht anpasst, dann erzeugt das Reibung. Und die schmerzt: Deine Selbstzweifel, Ungeduld, Opferhaltungen, Wutausbrüche und Zornattacken sind Zeichen dafür, das DU still stehst und nicht mit der Welt um dich herum im Fluss bist. Du willst, dass die Welt so funktioniert, „wie wir sie haben wollen“. Und am liebsten würde dein inneres Ich die Umwelt zwingen, uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Am liebsten sofort!

Das Dumme ist nur, dass diese doofe Welt einfach nicht auf uns hören will!

 

loslassen lernen, jumpy springt über buch

Halte dein Gehirn flexibel und lerne dazu. 
So passt du dich dem Wandel am besten an.

Um das Prinzip der Flusslehre noch deutlicher zu machen, hier noch ein praktisches Beispiel:

Loslassen lernen - Schau nach vorne - nicht zurück - Dr Martin KrengelStell dir vor, du lebst in den Alpen und auf einem Abstellgleis steht ein alter, historischer Zug. Eine etwas rostige Bimmelbahn, die aber noch schick aussieht und so toll in das Bergpanorama passt. Du magst diesen Zug. Du identifizierst dich ein wenig mit ihm. Er ist ein Teil von dir, von deiner Heimat. Doch plötzlich wird der Zug wiederbelebt und soll als Touristenattraktion durch die Berge fahren. Das gefällt dir gar nicht. Es ist doch dein Zug! Er gehört zu dir! Du hast ein Recht auf diesen Zug!

 

Du hast drei Möglichkeiten:
  1. Du kannst dich vor den Zug werfen und versuchen, ihn aufzuhalten. Du kannst Protestaktionen lostreten und versuchen, diese geldgierigen Kapitalisten zu stoppen.
  2. Du kannst den Zug ziehen lassen und dich darüber freuen, dass nun der Blick  auf andere Dinge frei ist.
  3. Du kannst in den Zug einsteigen und darauf gespannt sein, was du alles Neues erlebst.

 

Die erste Variante, dich davorzuwerfen, könnte etwas schmerzvoll werden – wenn du am Ende überhaupt noch Schmerzen empfinden kannst!

Variante 2 und 3 sind dafür schon eher Schlüssel zum Glück. Warum? Jede Veränderung hat Auswirkungen – positive, negative, neutrale, interessante, überraschende. Doch der große Fehler, den das menschliche Gehirn zu gern macht, ist, dass es sich aus Angst und Ungewissheit an die negativen Auswirkungen klammert und sich dem Blick für die anderen Aspekte verschließt. Genau das aber würdest du mit Variante 2 (ziehen lassen) oder 3 (das Beste daraus machen) tun. Es sind Perspektivenwechsel. Wenn du die guten Seiten eines Ereignisses sehen lernst, fällt dir die Akzeptanz leichter. Du richtest deine Energie nicht auf die negativen Auswirkungen, sondern die positiven.

Und genau das hat mir geholfen, schneller zu akzeptieren. Ich deute um und erkenne: Gestern hatte ich Glück. Ich habe zwar mein Telefon verloren, jedoch habe ich

… zuvor einen tollen Tag mit meinen Freunden verbracht,

… ich habe eine tolle Frau kennengelernt (die mich abgefüllt hat),

… ich war die Woche krank gewesen und dies war der erste Tag, an dem ich wieder gesund war,

… ich hatte meine Gürteltasche unter dem T-Shirt versteckt. So hat die Diebin weder Kreditkarte noch Geld und Ausweis erbeuten können,

… ich bin nun noch vorgewarnter und aufmerksamer und

… ich habe die Idee für diesen Artikel bekommen.

Zudem war das Telefon schon älter, der Akku schwächelte. Mein neues Telefon hat eine bessere Kamera, einen besseren Akku, mehr Speicherkapazität, ist wasserresistent und hat Stereolautsprecher. Klar, das Geld muss ich immer noch verdienen. Aber der ganze emotionale Schmerz, der Schock – beides spielt innerlich gar keine Rolle mehr (zumindest bis ich das nächste Mal auf meinen Kontostand blicke).


Fazit

Also:

Meine Frage an dich ist:

Magst du den Schmerz,
der entsteht, wenn du an Altem festhältst?

Nein?

Dann lass los!

 

Loslassen lernen - Schau nach vorne - nicht zurück - Dr Martin Krengel

Schau nach vorn. Das gibt weniger Unfälle.

 



Kategorie: Glück | Artikel von | am 17.05.2017

4 Kommentare für "Loslassen lernen | Magst du den Schmerz, der entsteht, wenn du an Altem festhältst?"

  1. Fabian Dittrich sagt:

    Vor 2 Jahren, nachdem ich 8 Monate durch Südamerika gereist bin, war ich sehr stolz am letzten Tag. Nichts wurde mir geklaut. Jinxed it. Auf dem Weg zum Flughafen wurde mir das Handy geklaut. Bin dann die gleichen Phasen wie du durchlaufen. Es ist bei mir gar nicht der Wertverlust der mich runterzieht, sondern die Frustration, dass ich mich übers Ohr hauen lassen habe. Es hilft sich ganz schnell ein neues Telefon zu holen. Oder sich zu denken: „Das Iphone 6 war eh viel zu groß, ist mir immer runtergefallen, gut das ich jetzt wieder das 5 habe“.
    Interessant dazu auch die „Prospect Theory“ von Daniel Kahnemann.

    1. admin sagt:

      Hi Fabi,

      sei froh, dass sie dir nicht deinen Jeep geklaut haben … 😝

      Ja, es schmerzt. Wir haben mal in Varanasi, dem heiltigsten Hindu-Ort für Feuerverbrennungen in Indien mal 10 Euro „Für Holz für die tuere Totenverbrennung“ gezahlt, die sich unser Touristenführer dann selbst in die Hose gesteckt hat, statt sie dem Hospiz zu geben, wie er uns erzählt hat. Es tat nicht wegen der 10 Euro weh – sondern weil er unsere Gutmütigkeit ausgenutzt hat.

      Auf bald!

      Martin

      P.S.: Fabian kenne ich persönlich – ich habe ihn mal durch Zufall in Rio getroffen – und ihn direkt vor die Kamera gezerrt … Herausgekommen ist eins der insprierendsten Interviews … :

      http://www.martinkrengel.com/reisen/weltreise/was-wir-beim-reisen-lernen/

  2. Hesse, Simone sagt:

    Hallo Martin,

    loslassen muss man nicht nur Vergangenes oder Materielles.

    Ich erinnerte mich gerade an diesen einen Satz in den Golden Rules, der für mich irgendwie sehr bedeutend geworden ist. In Regel 10, „Die Medaillenübung“ zitierst du einen Mönch, der nicht versteht, dass wir Westler uns so aufregen, wenn wir z.B. mal auf den Bus warten müssen, statt zu meditieren.

    Ich denke, dass ist auch eine Art von Loslassen, die man im Alltag ganz dringend etablieren sollte. Sich in Situationen, die man nicht ändern kann, nicht unnötig Schmerzen zuzufügen, indem man sich aufregt, Sorgen macht und panisch wird.

    Mein persönlicher Schlüsselmoment war der, als ich auf dem Weg zu einer Klausur war. Der Bus kam zwar pünktlich, stand dann aber im Stau und es wurde immer knapper. Mein Herz schlug immer wilder, da ich ja sowieso schon aufgeregt war und ich wurde unruhig, schaute mit panischem Blick auf die Autos vor uns und dachte mir: „Mensch, nun fahrt doch… Oh nein, was, wenn ich zu spät komme?“ Ich wurde immer unruhiger und aufgeregter.

    Und auf einmal fiel mir dieser Satz aus den Golden Rules wieder ein!

    Nun atmete ich einmal tief durch und dachte anders. Ich saß im Bus eh erstmal fest. Also nutzte ich die Zeit bis wir ankommen würden, um mich innerlich zu sammeln, durchzuatmen, gelassen aus dem Fenster zu schauen (auf die Bäume, nicht auf die Autos vor uns! 😉 ), und diese „geschenkten“ Minuten zu genießen.

    Als der Bus hielt, rannte ich dann zum Prüfungsraum. Doch bis dahin hatte ich eine Menge Kraft sammeln und meine Gedanken noch einmal ordnen können!!

    Seitdem versuche ich das so oft wie möglich umzusetzen. Ich überlege kurz, ob ich eine Situation aktiv verbessern kann (z.B. aussteigen und zu Fuß gehen, wenn der Bus definitiv stillsteht und die Uni nicht mehr weit ist). Ist dem nicht so, und ich sitze „fest“, dann versuche ich die Situation zur Enstpannung und Meditation zu nutzen. Wenn man dann aus dem „Festsitzen“ wieder raus kommt, hat man viel mehr Kraft und Energie, als wenn man sich nur aufgeregt hätte, was ja viel Energie raubt.

    Also Loslassen, was man nicht ändern kann und sich weiter im Meditieren üben 😉

    Danke, Martin, dass du mich dazu inspiriert hast!
    In dem Sinne – Carpe minutus – Nutze die geschenkten Minuten!

    1. admin sagt:

      Hi Simone,

      wow. Ich bin ein wenig gerührt … Und ich freue mich, dass dieser eine Funken aus meinem Buch so viel Feuer entfachte!

      Weiter so!

      Liebe Grüße aus Berlin,

      Martin

      P.S.: Das mit dem „weiter im Meditieren üben“ finde ich unheimlich wichtig, um nicht zu sagen „sauwichtig“. Für alles, für dein Zeitmanagement, deine Motivation, klaro – deine Konzentration und eben auch für den Prüfungserflog.

      Für alle die mal in Meditation und Achtsamkeit hineinschnuppern wollen, gibt es hier ein tolles 30-Tages-Konzentrationsübungs-Programm:
      https://www.studienstrategie.de/online-kurse/gelassenheit-ruhe-fokus-video-kurs-zu-achtsamkeit-motivation-konzentrationsuebungen/

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